Reise nach Takefu mit Markus Hochuli 1/3
en avant:
Herr Hochuli, Sie wurden im Juni 2004 vom japanischen Komponisten Hosokawa zu seinem Festival in die japanische Kleinstadt Takefu eingeladen und haben dort sein neues "volkstümliches" Werk für Gitarre uraufführt. Ich habe das Festival sowie Ihre Interpretation erleben können. Ich spürte bei Ihnen eine gewisse künstlerische Affinität zu der geruhsamen, erdverbundenen Atmosphäre von Takefu, die es so in den Großstädten weltweit schon lange nicht mehr gibt. Gleichwohl steht Takefu weder für ein traditionsreiches Kulturklima noch für eine touristikgünstige Ressortlage. Sie kommen ja aus dem Umland von Zürich und leben immer noch dort. Bitte schildern Sie Ihre ganz persönlichen Eindrücke von den ersten Tagen in Japan - besonderes in einer typisch japanischen Kleinstadt auf dem Lande.
Markus Hochuli:
Ich muss vorausschicken, dass ich das erste Mal in Japan war, sogar in Ostasien überhaupt. Deshalb wusste ich oft nicht, ob bestimmte Erlebnisse typisch sind für Japan oder nur für Takefu. So sind mir zum Beispiel schon auf dem Weg vom Flughafen die vielen Reisfelder aufgefallen, die zum Teil noch von Hand gepflegt wurden, obwohl ich ja zuerst mit dem Zug durch große Städte wie Osaka und Kyoto fahren musste. So hatte für mich Japan von Anfang an auch dörfliche Seiten. Ich hätte sicher ganz andere Eindrücke gehabt, wenn ich in Tokyo gelandet wäre. Anderseits bin ich auch in großen Städten wie Paris, Berlin, London immer wieder erstaunt, wie man plötzlich in Quartiere kommt, die etwas Dörfliches oder Kleinstädtisches ausstrahlen.
Die ersten Eindrücke waren die außerordentliche Herzlichkeit der Leute, die mich empfingen und an die ich immer wieder gerne zurückdenke, sowie das exquisite Essen, das es in Takefu auszuprobieren gibt. In vielen Dingen habe ich mich wie ein kleines Kind gefühlt: Ich wusste nicht, wie das schmeckt, was man mir serviert, wie man es isst, konnte nichts lesen, war noch nicht richtig erzogen, oft hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht gerade etwas falsch gemacht hatte. Dieses Gefühl war sehr interessant für mich. Anderseits waren meine Gastgeber auch sehr bemüht, mir alles recht zu machen, und sie hatten deshalb vielleicht manchmal mit den gleichen Unsicherheiten zu kämpfen.
Was vielleicht das Auffälligste ist in einer kleinen Stadt, dass es fast keine europäischen Ausländer gibt. Das heißt, dass man sofort auffällt. Ich war einige Tage in Kyoto, dort ist man den Umgang mit Fremden eher gewohnt, kann auch eher ein paar Worte Englisch sprechen.
Mir fiel auch auf, dass die Jugendlichen und Kinder sehr viel schüchterner sind als in der Schweiz. Das Schulsystem ist sicher ganz anders. Andererseits sehen die Kinderzeichnungen sehr ähnlich aus. Es gibt immer Aspekte, in denen sich Kulturen unterscheiden, man findet aber immer auch vieles, das genau gleich ist, Dinge in denen sich die Leute auf der ganzen Welt eben gerade nicht unterscheiden.
Noch kurz eine Bemerkung zum Wort "volkstümlich". Im Deutschen hat dieses Wort einen schlechten Beigeschmack. Ich kann vielleicht an den Satz von Brecht erinnern: "Das Volk ist nicht tümlich". Es sind Volksliedbearbeitungen, die aber mehr mit Bela Bartok zu tun haben, oder mit anderen Komponisten, die sich intensiv mit der Volksmusik ihres Landes beschäftigt haben. In diesem Zusammenhang hat es mir sehr viel gebracht, mit einer Kotospielerin zusammenzutreffen und ihre Spielweise kennen zu lernen. Dies hat meine Interpretationen direkt beeinflusst. (Fortsetzung auf Seite 2)
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